![]() |
||||||||||||||
Tausi Melek ist unser PROPHET
Die Religion der Yeziden
Telim Tolan
Die Yeziden sind von der Volkszugehörigkeit Kurden. Sie sprechen die kurdische Sprache, und auch die Siedlungsgebiete der Yeziden sind die kurdischen Gebiete. Wie Sie wissen, gibt es kein freies Kurdistan. Die Yeziden leben verteilt im Irak, in Syrien, Türkei und ein ganz kleiner Teil im Iran. Es gibt auch noch Yeziden in den ehemaligen Sowjetstaaten Armenien und Georgien und mittlerweile auch in Deutschland. Zwar gibt es keine offizielle Zählung der Yeziden, die Gesamtzahl wird jedoch auf 800.000 geschätzt. Damit ist das Yezidentum, das ehemals die Ursprungsreligion der Kurden war, eine religiöse Minderheit unter den mehrheitlich moslemischen Kurden. Etwa 550.000 leben im Nordirak als Hauptsiedlungsgebiet, wo sich auch das religiöse Zentrum der Yeziden - Lalish - befindet. Lalish liegt in der Nähe von Mossul. In der Nähe liegt auch der Sitz des weltlichen und geistigen Oberhauptes der Yeziden.
Die yezidische Religion ist eine monotheistische Religion, deren Wurzeln 2.000 Jahre vor Christus in die Zeit des Mithraismus zurückgehen. Gott ist allmächtig und erschuf die Welt. Die yezidische Vorstellung ist, daß neben Gott keine zweite Kraft existieren kann, die ohne seine Fürsprache, ohne sein Dazutun etwas Böses verrichten kann. Deshalb existiert auch nicht die Gestalt des Bösen. Damit einhergehend ist auch die Vorstellung, dass das Leben für einen Yeziden nicht mit dem Tod endet, sondern es wird nach einer Seelenwanderung ein neuer Zustand erreicht.
Der Mensch ist in erster Linie selbst verantwortlich für sein Wirken. Aus yezidischer Sicht hat Gott dem Menschen die Möglichkeit gegeben, zu sehen, zu hören und zu denken. Er hat ihm den Verstand gegeben und damit die Möglichkeit, für sich den richtigen Weg zu gehen.
Zentrale Bedeutung hat der Engel Tausi Melek, der durch einen Pfau symbolisiert wird. Nach der yezidischen Mythologie hat er in besonderer Weise die Allmächtigkeit Gottes gehuldigt und wurde von Gott zum Oberhaupt der sieben Engel erkoren. Er nimmt eine Art Stellvertreter-Funktion Gottes ein.
Man kann als Yezide nur geboren werden. Es besteht nicht die Möglichkeit, zum Yezidentum zu konvertieren. Die yezidische Gesellschaft hat das Verständnis, daß ein Yezide ein guter Mensch sein kann, aber um ein guter Mensch zu sein, muß man nicht Yezide sein. Das heißt, die Yeziden vertreten nicht die Auffassung, andere Menschen von der eigenen Religion überzeugen zu müssen. Sondern das Yezidentum ist von vornherein tolerant gegenüber anderen Religionen ausgerichtet. In einem Gebet der Yeziden wird gesagt: Lieber Gott, schütze erst die 72 Völker und dann uns. Die Yeziden haben keine Berührungsängste mit anderen Religionsgemeinschaften. So ist z.B. das Verhältnis zwischen Yeziden und Christen sehr gut. Dies hat etwas mit der gemeinsamen Leidensgeschichte der Yeziden und Christen in den kurdischen Gebieten zu tun. Die Yeziden haben z. B. während der Zeit der Armenienverfolgung (1914-1917) sehr viele Armenier in ihren Häusern aufgenommen.
Seit dem 11. Jahrhundert gibt es innerhalb der Yeziden bestimmte Kasten, die der yezidische Reformator Sheikh Adi eingeführt hat. Die Gruppen sind unterteilt in Laien - die kurdische Bezeichnung lautet Murid (das allgemeine Volk) - und die Kaste der Geistlichen, die sich dann noch in zwei weitere Kasten unterteilt - die Kaste der Sheikh und die der Pir. Die Zuordnung der Kasten erfolgt nach dem Vererbungsprinzip. Die Geistlichen haben die Funktion, die Laien zu betreuen und in der religiösen Lehre zu unterweisen. Darüber hinaus übernehmen sie wichtige soziale Funktionen. Im Gegensatz zum Kastenwesen im Hinduismus haben die Kasten im Yezidentum nicht die Funktion, eine weltliche Hierarchie herzustellen, sondern sie legen hauptsächlich religiöse Funktionen fest. Der Kontakt zwischen den einzelnen Kasten ist nicht nur gewünscht, sondern die einzige Möglichkeit, die Religion zu bewahren. Durch ihre Einführung wurde eine komplexe Gesellschaft geschaffen, die aufgrund der gegenseitigen Abhängigkeit zu einem besseren Zusammenhalt unter den Yeziden geführt hat.
Die Yeziden in Deutschland - Religion und Leben
Telim Tolan Der nachfolgende Vortrag ist bis auf kleine Abweichungen ein Mitschnitt eines Vortrages, welcher anlässlich einer Seminarreihe der Diakonie Oldenburg veranstaltet wurde. Es wurde dabei bewusst auf eine ausgesprochen verschriftlichte Formulierungsweise verzichtet. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich begrüße Sie herzlich zu unserem Vortrag: Die Yeziden in Deutschland - Religion und Leben. Es gibt mittlerweile sehr viele Yeziden in Deutschland, und entsprechend gibt es auch viele Fragen, die im Zusammenleben mit den Yeziden entstehen. Ich werde versuchen, heute einige Antworten darauf zu geben. Der Dialog unter den Religionen ist Voraussetzung für die gemeinsame Akzeptanz und den gegenseitigen Respekt. In Zeiten, in denen Religiosität abnimmt, ist es wichtig, dass sich die Angehörigen unterschiedlicher Religionen austauschen, gemeinsam über ihre Probleme sprechen und auch von den gemeinsamen Problemlösungen lernen und profitieren können. In diesem Sinne möchte ich meinen Vortrag beginnen. Ich werde Ihnen zuerst einen Einblick über die yezidische Religion geben und erklären, wer die Yeziden sind. Von der Zeitvorgabe her fällt mir das alles ein bisschen schwer, weil natürlich gerade die Yeziden - für die meisten hier - immer noch ein „weißes Blatt Papier“ sind. Ich werde aber versuchen, Ihnen die wichtigsten Aussagen des „Yezidentums heute“ näher zu bringen. Danach werde ich folgende Aspekte ansprechen: „Yeziden in Deutschland“, „Religiöses Leben in Deutschland“ und „Konflikte in der Diaspora“. Zum Schluss möchte ich Ihnen die Gelegenheit geben, Fragen zu stellen und - wenn mir die Zeit gewährt wird - auch ausführlich Antworten geben. Viele wichtige Themen können aus Zeitgründen nur kurz bzw. gar nicht angesprochen werden. Deshalb sollte dieser Vortrag auch nur als Einführung zum besseren Verständnis der Yeziden zu verstehen.
Wer sind die Yeziden? Die Yeziden sind von der Volkszugehörigkeit Kurden. Sie sprechen die kurdische Sprache, und auch die Siedlungsgebiete der Yeziden sind die kurdischen Gebiete. Wie Sie wissen, gibt es kein freies Kurdistan. Die Yeziden leben verteilt im Irak, in Syrien, Türkei und ein ganz kleiner Teil im Iran. Es gibt auch noch Yeziden in den ehemaligen Sowjetstaaten Armenien und Georgien und mittlerweile auch in Deutschland. Zwar gibt es keine offizielle Zählung der Yeziden, die Gesamtzahl wird jedoch auf 800.000 geschätzt. Damit ist das Yezidentum, das ehemals die Ursprungsreligion der Kurden war, eine religiöse Minderheit unter den mehrheitlich moslemischen Kurden. Etwa 550.000 leben im Nordirak als Hauptsiedlungsgebiet, wo sich auch das religiöse Zentrum der Yeziden - Lalish - befindet. Lalish liegt in der Nähe von Mossul. In der Nähe liegt auch der Sitz des weltlichen und geistigen Oberhauptes der Yeziden.
Es gibt im Yezidentum keine schriftliche Fixierung der religiösen Lehre, wie es vergleichbar die Bibel für die Christen ist. Die Vermittlung beruht vielmehr auf mündlicher Überlieferung. Es gibt jedoch zwei Bücher, das „Buch der Offenbarung“ - kurdisch „Kiteba Celwa“, und die Schwarze Schrift. Die kurdische Bezeichnung hierfür ist „Meshefa Resh“. Beide haben aber nie die Bedeutung gehabt, die Religion zu vermitteln. Sie sind “leider als Originale auch nicht mehr auffindbar. Es sind lediglich einige Abschriften vorhanden, wobei davon ausgegangen werden kann, dass diese nicht in allen Teilen authentisch sind.
Die Wurzeln des Yezidentums reichen bis zu 2.000 Jahre vor Christus in die Zeit des Mithraismus zurück.
Die yezidische Religion ist eine monotheistische Religion. Die Yeziden glauben nur an einen Gott, der allmächtig ist. Er hat aus seinem Licht sieben Engel geschaffen. Einen von ihnen - den Tausi-Melek - hat er zum obersten Engel erkoren, weil er in besonderer Weise die Enzigartigkeit Gottes gehuldigt hat (s. Seite 66: Nichtanbetung Adams). Er wird im Yezidentum durch einen Pfau symbolisiert.
Im Yezidentum existiert nicht die Gestalt des Bösen. Die yezidische Vorstellung ist, dass Gott allmächtig ist und neben Gott auch keine zweite Kraft existieren kann, die ohne seine Fürsprache, ohne sein Dazutun etwas Böses verrichten kann. Die Yeziden sprechen auch nicht das Wort des Bösen aus, weil allein der Ausspruch dieses Wortes die Anzweiflung der Einzigartigkeit Gottes ist. Nach yezidischer Vorstellung wäre Gott schwach, wenn er noch eine zweite Kraft neben sich existieren lassen würde. Diese Vorstellung wäre mit der Allmacht Gottes nicht vereinbar. Die Auffassung, dass es eine von Gott geduldete Kraft des Bösen nicht geben kann, hat leider zu einem falschen Verständnis der yezidischen Religion geführt. Besonders von fundamentalistischen Moslems werden die Yeziden als Anbeter des Bösen bezeichnet, was ja genau dem widerspricht, was ich Ihnen erzählt habe. Das Yezidentum ist nun mal eine Religionsgemeinschaft, die nicht so ganz in die Struktur und das Verständnis einiger Religionen passt, und deshalb ist wohl eine Abneigung gegenüber dem Yezidentum entstanden.
Wichtig für das Verständnis der yezidischen Religion ist, dass es im Yezidentum eine Art Kastengesellschaft gibt. Man kann als Yezide nur geboren werden. Es besteht nicht die Möglichkeit, zum Yezidentum zu konvertieren. Und seit dem 11. Jahrhundert gibt es innerhalb der Yeziden bestimmte Abgrenzungen oder Kasten, die der yezidische Reformator Sheikh Adi eingeführt hat. Die Gruppen sind unterteilt in Laien - die kurdische Bezeichnung lautet „Murid“ (das allgemeine Volk) - und die Kaste der Geistlichen, die sich dann noch in zwei weitere Kasten unterteilt - die Kaste der „Sheikh“ und die der „Pir“. Die Zuordnung der Kasten erfolgt nach dem Vererbungsprinzip. Die Kinder von Murid-Eltern sind ebenfalls Murids, sowie die Kinder von Sheikh-Eltern Sheikhs und die Kinder von Pir-Eltern Pirs sind. Jeder Sheikh- und Pir-Familie sind von Geburt Murids zugeordnet. Die Geistlichen haben die Funktion, die Laien zu betreuen und in der religiösen Lehre zu unterweisen. Darüber hinaus übernehmen sie wichtige soziale Funktionen. Im Gegensatz zum Kastenwesen im Hinduismus haben die Kasten nicht die Funktion, eine weltliche Hierarchie herzustellen, sondern wie beschrieben hauptsächlich religiöse Funktion. Es gibt also in der yezidischen Gesellschaft keine Ausgrenzung und keine Parias. Der Kontakt zwischen den einzelnen Kasten ist nicht nur gewünscht, sondern die einzige Möglichkeit, die Religion zu bewahren. Durch die Einführung der Kasten wurde eine komplexe Gesellschaft geschaffen, die aufgrund der gegenseitigen Abhängigkeit zu einem besseren Zusammenhalt unter den Yeziden geführt hat. Es war den Yeziden aufgrund der Unterdrückung versagt, ihre religiöse Organisation öffentlich zu bestimmen und zu pflegen. Durch die von Geburt festgelegte Zuordnung zu einer Kaste und einem Betreuungsverbund hat Sheikh Adi ein religiöses System etabliert, das den Yeziden ermöglicht hat, in der Unterdrückung auch ohne die sonst erforderliche öffentliche Organisation ihr religiöses Leben zu führen. Diese Regeln haben bewirkt, dass die Yeziden gegen die massiven Islamisierungsbestrebungen resistenter wurden.
Die Regel, dass man nur untereinander heiratet, ist nicht entstanden, um sich von anderen abzugrenzen oder zu demonstrieren, dass dies die einzig richtige Religionsgemeinschaft wäre, sondern allein zur Selbsterhaltung. Es steckt kein Überlegenheitsdünkel dahinter: Wir sehen uns nicht als etwas Besonderes oder womöglich eine Art edle Rasse. Bei der Beurteilung sollte man nicht unberücksichtigt lassen, dass genau diese Regel die Yeziden im Unterschied zu anderen Religionsgemeinschaften vom Bekehrungszwang abgehalten hat. Wieviele Kriege sind im Namen der Religion geführt worden, um die Ungläubigen zu bekämpfen? Wieviele Menschen müssen noch heute darunter leiden? Wieviele mussten ihr Leben opfern?
Die yezidische Gesellschaft hat als Grundverständnis, dass ein Yezide ein guter Mensch sein kann, aber um ein guter Mensch zu sein, muss man nicht Yezide sein. Das heißt also: Die Yeziden vertreten nicht die Auffassung, dass sie andere Menschen von der eigenen Religion überzeugen müssen, also die anderen von ihrer Religion abbringen und missionieren müssen. Sondern das Yezidentum ist von vornherein tolerant gegenüber anderen Religionen. In einem Gebet der Yeziden heisst es: „Lieber Gott, schütze erst die 72 Völker und dann uns“. Die Yeziden haben keine Berührungsängste mit anderen Religionsgemeinschaften. So ist z.B. das Verhältnis zwischen Yeziden und Christen sehr gut. Dies hat auch etwas mit der gemeinsamen Leidensgeschichte der Yeziden und Christen in den kurdischen Gebieten zu tun. Die Yeziden haben während der Zeit der Armenierverfolgung (1914-1917) sehr viele Christen in ihren Häusern aufgenommen. Sie haben sie vor der Verfolgung durch fundamentalistische Moslems geschützt, die wahrscheinlich den Islam nicht richtig verstanden haben. Aber auch umgekehrt haben Christen die Yeziden geschützt. Von daher gibt es ein sehr gutes Verhältnis zwischen Yeziden und Christen.
Wie leben die Yeziden in Deutschland und warum sind die Yeziden in Deutschland? Die Yeziden werden in ihrer Heimat verfolgt. Einmal ethnisch, weil sie Kurden sind, aber dann noch viel gravierender, weil sie Yeziden sind. Weil sie einer Glaubensgemeinschaft angehören, die aus Sicht der fundamentalistischen Moslems kein Recht hat, überhaupt zu existieren. Das Christentum und das Judentum gehören zu den geduldeten Religionen. Aber das Yezidentum wird als eine Abspaltung des Islam, praktisch als eine Sekte verstanden, die von dem richtigen Weg abgekommen ist. Deren Anhänger sind zu bekehren oder umzubringen.
Die Yeziden haben auch keinen Schutz von den Regierungen und Staaten bekommen. Die Türkei z. B. hat die Yeziden nicht davor schützen können oder wollen, verfolgt zu werden. Deswegen sind besonders in den achtziger Jahren sehr viele Yeziden nach Deutschland geflüchtet. Hier wurden sie nach einem sehr langwierigen Asylverfahren, nachdem sehr viele Gutachten erstellt wurden, als asylberechtigt anerkannt. Maßgeblich hat daran mitgewirkt Herr Prof. Dr. Dr.Wießner von der Gesellschaft für bedrohte Völker. Alle, die wissen, wie wenig Asylanträge in Deutschland anerkannt werden, können, denke ich, die Bedeutung dieser Anerkennung entsprechend würdigen.
Einige haben bereits die deutsche Staatsbürgerschaft, besonders Jugendliche streben die deutsche Staatsbürgerschaft an. Überwiegend besitzen die Yeziden einen festen Aufenthaltsstatus. Es gibt aber auch zahlreiche Yeziden, besonders aus den nicht-türkischen Herkunftsgebieten, die noch in Asylverfahren sind.
Die Zahl der Yeziden beträgt ca. 35.000 - 40.000 in Deutschland. Die Yeziden haben das Bestreben zusammenzuleben, weil sie auch nur in dieser größeren Zahl ihre Religion praktizieren können. Hauptsächlich verteilen sich die Yeziden auf die Bundesländer Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Die meisten Yeziden leben im Raum Hannover, ungefähr 3.000 Yeziden allein in der Stadt Celle und mindestens genauso viel in der Stadt Bielefeld. Die Zahl der im Stadtgebiet Oldenburg lebenden Yeziden beläuft sich auf ungefähr 1.300 Yeziden.
Welche Konflikte erleben die Yeziden in Deutschland? Natürlich ist das Yezidentum, wie eigentlich jede andere Kultur aus dem Nahen Osten oder aus dem nicht-europäischen Bereich, hier mit besonderen Konflikten konfrontiert, die nicht spezifisch yezidisch sind, sondern es geht hier vielmehr um Kulturkonflikte. Ein Beispiel ist die Stellung der Familie. Bei den Yeziden oder allgemein Menschen aus dem Nahen Osten hat die Familie noch eine sehr große Bedeutung. In Deutschland müssen die Eltern begreifen, dass sie diese Stärke nicht mehr haben. Diese Konflikte setzen sich bei der Musik, dem Schulsystem und den unterschiedlichen Wertevorstellungen fort.
Es gibt aber auch religiöse Konflikte. Yeziden verfügen nicht über eine Tradition der schriftlichen und organisierten Religionsvermittlung wie im Christentum. Das Yezidentum wird mündlich überliefert, und schwierig ist es natürlich in einer Gesellschaft wie hier, wo das Zusammenleben zwischen den Yeziden längst nicht so gut ist wie in den Dörfern in der Heimat, diese Religion an die Jugendlichen weiterzugeben. Da liegt überhaupt das ganz große Problem. Die Jugendlichen haben Identifikationsprobleme, weil viele Eltern den Kindern die Religion nicht richtig vermitteln können. Auch die für diese Aufgaben bestimmten Geistlichen können nicht immer ausreichend ihre Aufgabe wahrnehmen. Zwar lernen die Jugendlichen die Traditionen und Bräuche der Yeziden kennen. Aber auch die theoretische Seite des Yezidentums ist ebenso wichtig für die Identitätsfindung und -bildung, und diese fehlt: Was stellt das Yezidentum inhaltlich, geschichtlich und theologisch dar?
Zum besseren Verständnis dieser Problematik ist es wichtig zu wissen, dass der Bildungsstand der Jugendlichen sehr oft deutlich besser ist als der Bildungsstand der Eltern. Viele Eltern haben nur bis zur 5. Klasse die Schule besuchen können. Besonders unter den Frauen gibt es eine hohe Analphabetenquote. Sehr oft wird die Religion nur über Verbote vermittelt. Es fehlt den Yeziden die kirchliche und religiöse Organisation wie bei den Christen. Prof. Dr. Dr. Wießner hat einmal bei der Beschreibung der Sitaution der Yeziden in Deutschland vom „tötenden Licht einer fremden Welt“ gesprochen. Das ist im Grunde genommen ein Bild, das Sie vor Augen haben müssen, wenn Sie die Konflikte der Yeziden verstehen wollen. Die Eltern haben die Sorge, dass sie jetzt, nachdem sie ja endlich die Möglichkeit haben, ihre Religion frei zu leben, Schwierigkeiten haben, die Religion an ihren Kinder weiterzugeben. Diese Problematik gibt es natürlich auch bei christlichen Eltern, aber längst nicht so extrem und existenziell wie bei den Yeziden.
Das Yezidentum erfüllt viele Voraussetzungen, um die yezidische Identität auch in einer europäischen Gesellschaft überlebensfähig zu machen. Nur die Yeziden müssen es erst einmal schaffen, hier funktionsfähige Gemeinden aufzubauen. Sie konkurrieren auch gegen andere, nicht religiöse Vorstellungen, mehr also Wertevorstellungen.
Ein weiteres Problem ist sicherlich auch die Heiratsregel. Ich erzählte Ihnen ja vorhin, dass es bei den Yeziden nur die Möglichkeit gibt, als Yezide geboren zu werden, und ein Yezide, der seine Religion bewahren will, muss sie innerhalb der Religion ausüben und auch seinen Lebenspartner innerhalb der Religionsgemeinschaft aussuchen. Das heißt also: Ein Yezide kann nur eine Yezidin heiraten - und umgekehrt. Ein weiterer Aspekt, der sehr oft nachgefragt wird: Wie sieht es aus mit der Stellung der Frau, führt das zu Konflikten? Ich möchte mit einem kurdischen Sprichwort entgegnen, das zumindest ein gewisses Selbstverständnis wiedergibt, nämlich: Der Löwe ist Löwe, egal ob Mann oder Frau. Religiös gesehen, gibt es keine Benachteiligung der yezidischen Frau. Eine Yezidin kann sich vom religiösen Verständnis her beruflich und weltlich frei entwickeln. Dennoch gibt es traditionelle Probleme. Die Gleichberechtigung der Frau ist noch nicht so hergestellt wie wir es wünschen. Aber auch die Gleichberechtigung der deutschen Frau lässt noch viele Wünsche offen. Denn ich denke, man darf die Gleichberechtigung nicht nur daran messen, dass die deutsche Frau einem Beruf nachgehen kann. Viel wichtiger wäre es ja mal zu schauen, wie viele Frauen entscheiden überhaupt in Deutschland. Das sind auch nur vielleicht fünf Prozent.
Ein weiteres Problem ist, dass es lange nicht gern gesehen war, dass die yezidischen Mädchen höherbildende Schulen besuchen. Das hat etwas mit der Erfahrung in der Heimat zu tun, weil es für Yeziden sehr schwierig war, in der Heimat eine höhere Schulen zu besuchen. Besonders für Mädchen bestand das Problem, dass fundamentalistische Moslems hartnäckig versuchten, diese Mädchen zu bekehren und in ihre Religionsgemeinschaft aufzunehmen. Aus dieser Angst heraus haben es auch in Deutschland viele Eltern versucht, ihren Töchtern diesen Weg zu versperren. Aber viele Eltern haben verstanden, dass diese Regel hier nicht fortgesetzt werden kann. Dazu hat sicherlich auch das Bewusstsein beigetragen, dass sie auch auf Dauer in Deutschland bleiben werden. Es gibt immer mehr Beispiele, dass yezidische Mädchen studieren - auch außerhalb des Elternhauses. Aber es ist immer noch nicht die Regel. Einige Mädchen müssen sich dieses Recht wirklich hart erkämpfen. Mit der Zeit lösen sich aber (hoffentlich) solche Probleme, und kein Yezide wird (hoffentlich) darin eine Verletzung der religiösen Ansichten sehen. Das heißt, diese Modernität steht nicht im Widerspruch zum Yezidentum. Sie muss nur erst einmal verstanden werden. Eine Generation muss etwas mehr leiden, und die nächste Generation wird es sicherlich einfacher haben.
Wie findet religiöses Leben in Deutschland statt? Das religiöse Leben der Yeziden findet auch in Deutschland statt. Die Geistlichen nehmen ihre Aufgaben bei der Taufe wahr, besuchen die Familien, die religiösen Feiertage werden abgehalten und die Fastenzeiten weitestgehend eingehalten. Der Austausch zwischen den Yeziden funktioniert sehr gut. Wir haben sehr oft Hochzeiten, zu denen sehr viele Menschen zusammenkommen. Dieser soziale Austausch zwischen den Yeziden ist sehr wichtig. Hier lernen sich auch die Jugendliche kennen.
Sehr wichtig ist, und das ist der Schluss meines Vortrages, die Arbeit der Vereine. Die Yeziden haben begriffen, dass sie sich auch religiös organisieren müssen, um ihre Religion bewahren zu können. Man ist sich einig, dass es eine neue Form geben muss, diese Religion zu vermitteln. In Oldenburg wurde 1993 der yezidische Verein Kulturforum der yezidischen Glaubensgemeinschaft gegründet. Mittlerweile gibt es auch im gesamten Bundesgebiet yezidische Vereine. Zu den wichtigsten Aufgaben dieser Vereine gehört es, Räume zur Verfügung zu stellen, in denen die Yeziden sich treffen können. Yeziden sind nicht fundamentalistisch veranlagt, also nicht von der Vorstellung getrieben, sie müssten ständig Gebete rezitieren. Das Yezidentum ist mehr als nur eine Religionsgemeinschaft. Die Yeziden haben einen sehr ausgeprägten und viel weiter definierten Gemeinschaftssinn. In diesem Verein sollen sich die Menschen in erster Linie treffen. Es soll aber auch Religionsunterricht stattfinden, so dass die Jugendlichen vermittelt bekommen, was überhaupt das Yezidentum ist. Ich sagte es schon, dass die Eltern mit der Religionsvermittlung meistens überfordert sind. Eine weitere Vereinsarbeit ist die Herausgabe der Zeitschrift „Dengê Êzîdiyan“. Sie wird in deutscher, kurdischer und arabischer Sprache veröffentlicht. Der deutschsprachige Anteil beträgt 40 %. Des weiteren sind wir auch im Internet vertreten. Das gehört natürlich zu einem modernen Verein dazu, und nicht erst seit heute, sondern mittlerweile seit 1995. Wir haben eine auch eine eigene homepage: www.yeziden.de . Weitere Informationen über unseren Verein sind in unserer Kurzdarstellung enthalten, die ich Ihnen mitgeben werde.
Der Verein hat sein eigenes Zentrum in Oldenburg gebaut. Wir haben von der Stadt Oldenburg ein Erbbaurechtgrundstück bekommen. Und da wollen wir das machen, was ich Ihnen gerade erzählt habe und was in dieser Selbstdarstellung auch als Vereinsarbeit erläutert ist. Es ist das erste yezidische Zentrum, das außerhalb der Heimat gebaut wurde. „Stein auf Stein“ sage ich, und darauf sind wir auch stolz. Es ist aber auch ein Zeichen, dass wir hier bleiben werden und uns dieser Gesellschaft zugehörig fühlen.
Bräuche und Traditionen bei den Yeziden
Khidir S. Khalil (Pir Xidir Sileman)
Bei dem folgenden Text handelt es sich um eine Übersetzung aus dem Arabischen von Sebastian Maisel.
Auszug aus: Unser Dorf – Yezidische Bräuche und Traditionen von Khidir S. Khalil (Pir Xidir Sileman). Dies ist eine Zusammenfasung der Bräuche und Zeremonien aus dem Gebiet von Sheikhan. Es gibt kleine Unterschiede bei den Yeziden in anderen Siedlungsgebieten.
Die Beschneidungszeremonien, die wie bei den Juden ausschließlich für das männliche Geschlecht vollzogen werden, gehören zu den gesellschaftlichen Bräuchen und Traditionen, von denen es viele im Yezidentum gibt.
Hervorzuheben sind einige wichtige Grundregeln, die bei den Beschneidugnsfeierlichkeiten berücksichtigt werden. Folgende Stufen werden dabei unterschieden:
Das Aussuchen des Paten Es ist allgemein bekannt, dass sich die Yeziden in drei religiöse Klassen teilen. Dies geht, so sagt man, auf die Zeit von Sheikh Adi zurück. Die drei Klassen sind die Sheikhs, die Pire und die Muriden, wobei die Klasse der Pire älter ist als die der Sheikhs. Diese stammt aus der Ära Sheikh Adis. Wenn jemand seinen Sohn beschneiden lassen will, so muß er nach Absprache mit der Familie einen Paten außerhalb seiner Klasse wählen. So vereinigen sich die Bande der Liebe, des Beistandes und der gegenseitigen Zusammenarbeit zwischen den Verwandten der beiden Personen im allgemeinen und zwischen den beiden Familien im besonderen. Dabei kann man eine merkwürdige Regel feststellen: Wenn der Pate und der Beschnittene zu demselben Familienverband gehören, was vermieden werden soll, so ist die Heirat zwischen Verwandten beider Familien nicht erlaubt, sondern bis in die siebente Generation verboten. Danach darf man wieder heiraten. Daher ist es auch natürlich, dass der Pate aus einer anderen Klasse ausgewählt wird als aus der des Beschnittenen, weil die Heirat sonst oft nicht möglich wäre. Wichtig ist auch ein weiterer Hinweis zur Auswahl des Paten: Er kann Yezide oder Muslim sein, je nach Wunsch der Familie des Beschnittenen. Es ist durchaus üblich, die Beschneidung yezidischer Kinder auf dem Schoß von muslimischen Paten durchführen zu lassen - und umgekehrt. Die Festvorbereitung Nach den praktischen Vorbereitungen und der Auswahl des Paten wird der Feiertag festgelegt. Dann kann sich die Familie um das Kaufen von Geschenken wie Kleidung und Schuhe kümmern. Diese werden dann an alle Familien des Dorfes sowie die Bekannten und Verwandten innerhalb und außerhalb des Dorfes verteilt. Dies geschieht in den Tagen vor Beginn des Festes. So erfahren die Leute den Termin des Festes und können sich rechtzeitig vorbereiten. Die Zeremonien während der Festtage Einen Tag vor Beginn des Festes kommen die Verwandten und die Dorfbewohner zum Haus des Beschnittenen. Die Jungen und Mädchen des Dorfes beginnen, Lieder und Tänze aufzuführen, wobei sie von einigen alten Männern unterstützt werden, die sich freuen, so an ihre Jugendzeit erinnert zu werden. Meistens bleibt man bis in die Nacht, dann kehren alle in ihre Häuser zurück. Am nächsten Morgen steht man früh auf, um die beste Kleidung auzulegen und sich auf das Ereignis vorzubereiten. Der Empfang des Paten und die Einladung zur Feier Wenn der Pate nicht aus dem Dorf stammt, so kommen er und einige Verwandten am Vorabend der Feier in das Dorf. Hier erwartet ihn schon die Familie des Beschneidungs-Aspiranten. Bei ihrer Ankunft am Dorfrand feuern sie ihre Gewehre ab als Zeichen ihres Kommens. Als Antwort darauf feuern dann auch die Dorfbewohner und besonders die Familienangehörigen. Dann ziehen sie aus, um einander zu treffen und zu begrüßen. Dabei singt einer der örtlichen Sänger seine schönsten Lieder , während alle am Haus des Gastgebers ankommen, um die Nacht dort zu verbringen (s.o.) Wenn der Pate jedoch aus dem gleichen Dorf oder der gleichen Stadt stammt, so kommt er am Abend vor der Feier selbst zum Haus der Familie, um mit ihnen gemeinsam zu feiern. Anschließend geht er nach Hause, um sich für die Zeremonien am nächsten Tag vorzubereiten. Wenn die Sonne aufgeht, beginnen die Gesänge und Tänze. Überall sieht man nur leuchtende und fröhliche Gesichter. Einige Männer des Dorfes sowie die Familie des Kindes und natürlich der Sänger stehen dabei an der Spitze. Sie alle ziehen zum Haus des Paten, um ihn einzuladen. Zuvor führen die Jugendlichen aber noch einige Tänze in dessen Haus auf. Anschließend kehren sie und der Pate zum Festhaus zurück, um die Beschneidung durchführen zu lassen. Zur gleichen Zeit kommt der Arzt des Gebietes in das Dorf und bringt Medikamente und seine Geräte mit. Meist hat er sie selbst aus Holz gefertigt. Die Beschneidung und die anschließenden Zeremonien Nachdem sich die Dorfbevölkerung im Haus des Gastgebers versammelt hat, beginnt die Operation. Dabei sind der Arzt, der Pate, das zu beschneidende Kind, der Vater bzw. der Vormund und die Mutter sowie einige Helfer anwesend. Das Kind wird in den Schoß des Paten gelegt, und der Arzt führt die Operation durch. Dabei ist es notwendig, dass einige Bluttropfen auf das Gewand des Paten fließen. Nach der Operation wäscht die Mutter das restliche Blut vom Gewand des Paten, der daraufhin der Mutter einen Geldbetrag gibt, um die Blutschuld zu bezahlen. Dies ist aber nicht unbedingt vorgeschrieben. Nach dem Vollzug der Beschneidung werden wieder die Gewehre abgefeuert und Süßigkeiten unter den Kindern verteilt. Die Jugendlichen beginnen mit dem bekannten Volkstanz. Die Männer warten derweil im Wohnzimmer auf den Arzt, der den Teller mit dem Beschneidungsmesser hereinbringt. Der Pate gibt ihm daraufhin ein Geldgeschenk für die Beschneidung. Anschließend geht der Arzt an der Reihe der Männer entlang, und alle legen freigebig etwas auf seinen Teller. Dies ist seine Bezahlung. Außerdem erhält er eine Gabe von der Familie des Beschnittenen. Nun folgt ein großes Essen. Eine Gruppe von Bekannten der Familie zieht durch das Dorf, um die Männer dafür einzuladen. Die Festlichkeiten gehen weiter. Es wird meist mehrere Tage getanzt. Die Rolle der Dorfbewohner und der Familienangehörigen Die Familie des Beschnittenen soll großzügig sein beim Kaufen von Geschenken, um sie unter den Dorfbewohnern und Bekannten zu verteilen. Sie soll ein Festessen veranstalten und alle Männer des Dorfes dazu einladen. Die Zeremonien sind erst beendet, wenn die Männer einzeln oder in Gruppen die Familie besucht haben und ihnen mit Geschenken und Schlachtopfern zu diesem glücklichen Anlass gratuliert haben. Die Familie dankt ihnen dafür. Die Frauen hingegen bringen ein Gericht, um damit im Haus des Beschnittenen zu gratulieren. Nach der Beschneidung Die Zeremonien nach der Beschneidung, besonders zwischen den Familien des Paten und des Beschnittenen Nachdem einige Tage vergangen sind, geht eine der beiden Familien daran, verschiedene Speisen zu kaufen, um die andere Familie zu besuchen. Dies geschieht, um die Wertschätzung des segensreichen Schrittes deutlich zu machen, den beide Familien unternommen haben. Sie bleiben ein oder zwei Tage bei ihnen, hoch geachtet und geehrt. Dann kehren sie zurück. Später unternimmt die andere Familie den gleichen Schritt und besucht die erste Familie als Ausdruck des Dankes und der Wertschätzung. Dieser überlieferte Brauch, an welchen die yezidische Gemeinschaft festhält, hat großen Einfluß auf die Gesellschaft. Er bringt gegenseitig Anteilnahme und engere Verbindun tgen zwischen den Dorffamilien, aber auch zu Dorffremden mit sich. Weiterhin dient er der Erweiterung der Beziehungen untereinander. So lässt die eine Familie die Beschneidung ihres Sohnes im Schoße einer anderen Familie durchführen, die sie nicht kennt und zu der sie keine Verbindung hat. Dies geschieht im Wunsch nach gegenseitiger Annäherung. Beide Familien werden sich zukünftig achten, lieben und unterstützen. Nach der arabischen Vorlage übersetzt von Sebastian Maisel Kurzbiografie und Kontakt Sebastian Maisel Magister in Arabik, Islamwissenschaften und Ethnologie, z.Zt. Lektor für arabische Sprache an der Friedrich-Schiller-Universität Jena E-Mail: wasesha@hotmail.com
Yezidisches Qewl
Bei dem folgenden Text handelt es sich um ein yezidisches Qewl (religiöser Text).
Das Wesen von Tausi-Melek und sein theologischer Ursprung
Prof. Dr. Philip Kreijenbroek
Die Frage nach dem Charakter des Tausi-Melek ist für Außenseiter wahrscheinlich interessanter als für Yeziden. Letztere wissen ja seit eh und je, was Tausi-Melek für sie bedeutet. Erst durch die Fragen ihrer nicht-yezidischen Nachbarn wurde das Wesen des Tausi-Melek womöglich zum Problem. Für westliche Religionshistoriker hingegen ist eine göttliche oder engelartige Figur, die von den Gläubigen von ganzem Herzen verehrt wird, aber den Aussagen anderer Glaubensgemeinden gemäß irgend etwas mit dem Prinzip des Bösen zu tun haben soll, ganz faszinierend.
Dazu kommt noch, dass im Yezidismus manche Wörter, die irgendwie an das Prinzip des Bösen erinnern, nicht ausgesprochen werden dürfen - diese fehlen auch in dieser Darstellung. Das scheint zu bedeuten, dass früher auch die Yeziden selbst irgendeine Verbindung zwischen Tausi-Melek und dem Bösen erkannten.
Die Frage bleibt jedoch, was für eine Verbindung dies gewesen sein kann, denn es weist absolut nichts darauf hin, dass die Yeziden früher das Böse angebetet hätten. Auch in den alten Qewls (religiöse Texte) haben wir es ausschließlich mit Gottesanbetern zu tun, die Tausi-Melek als Stellvertreter Gottes auf Erden verehren.
Nun kann man für diese Sachlage unterschiedliche Erklärungen finden, und da unsere historischen Quellen nicht ausreichen, um eindeutig festzustellen, was wirklich passiert ist, haben wir keine andere Wahl, als solche Hypothesen miteinander zu vergleichen. Eine mögliche Hypothese basiert darauf, dass zur Zeit von Sheikh Adi manche Sufis nicht mehr glaubten, dass Iblis schlecht war. Sie sahen ihn vielmehr als einen extremen Monotheisten, der sich geweigert hatte, Adam zu verehren. Wenn nun auch Sheikh Adi dieser Ansicht war, könnte dies die Ehrfurcht seiner Jünger für Iblis womöglich erklären. Das Problem ist jedoch, dass wir einige Schriften von Sheikh Adi kennen und dass sich daraus keine besondere Verehrung für das Bösefeststellen lässt.“Eine andere Hypothese zieht im Betracht, dass der Schöpfungsmythos der Yeziden, den wir aus den Qewls kennen und der auch in der Ahl-e Haqq-Tradition überliefert wird, in mancher Hinsicht mit dem Mythos der altiranischen Religion, des Zoroastrismus, übereinstimmt: In den Texten der Yeziden und Ahl-e Haqq wird erzählt, dass Gott die Welt in der “embryonischen” Form einer Perle geschaffen hat. Daraufhin hat er die sieben heiligen Wesen (heft surr) geschaffen, und mit dem Leiter dieser Gruppe (bei den Yeziden Tausi-Melek) einen Pakt geschlossen, dass die Sieben die Welt verwalten würden. Darauf erfolgt (jedenfalls in der Ahl-e Haqq Version) ein Stieropfer; dann lässt Gott die Perle zerbersten und schafft daraus die Welt in ihrem jetzigen Zustand. Tausi-Melek ist also “zuständig” für alles, was in der Welt stattfindet. Alles Geschehen, alle Elemente der Welt- und Menschheits-Geschichte werden ihm zugeschrieben und nicht aufgeteilt in “gute” und “böse” Ereignisse.
Auch im Zoroastrismus erschafft Gott die Grundelemente der Welt erst in einem idealen, nicht-materiellen Zustand und überlässt sie dann einer Gruppe von sieben gott- oder engelartigen Wesen (den Amesha Spentas). In beiden Religionen erfolgt ein Pakt und (wahrscheinlich) eine Stiertötung. Die Stiertötung veranlasst irgendwie, dass die Welt in ihren heutigen materiellen Zustand versetzt wird.
Ein wichtiger Unterschied ist jedoch, dass der Zoroastrismus die Realität als eine Mischung zwischen Gutem und Bösem betrachtet. Im zoroastrischen Mythos wird der Pakt nicht wie im Yezidismus zwischen einem Hochgott und seinem göttlichen Verwalter auf Erden geschlossen, sondern zwischen Ohrmazd und Ahriman, der guten und der bösen Macht.
Die Stiertötung am Anfang der Welt gilt als grässlicher Akt des üblen Ahriman. Der Zoroastrismus lehrt, dass die Welt vom guten Gott in idealer Form geschaffen wurde, aber durch den Angriff des Bösen zerstört worden ist. Die Stiertötung symbolisiert gewissermaßen den Anfang einer nicht-idealen Welt. Im Yezidismus hingegen ist das Stieropfer ein positiver, welt-befreiender Akt, der es der Welt ermöglicht, aus einem engen, dunklen, sozusagen “embryonalen” Zustand heraus ans Licht und in den Raum zu kommen. Das Bessere folgt somit auf das weniger Ideale. Interessant ist nun, dass der zoroastrische „Böse“ und die yezidische Gottheit, die mit dem „Bösen“ assoziiert wird, sehr ähnliche Rollen spielen: Beide sind sie an dem Pakt beteiligt, und wahrscheinlich töten beide den ersten Stier.
Spuren eines Mythos, der dem yezidischen ähnlich ist, finden wir im altindischen Veda und im römischen Mithraismus, dessen Ursprünge vermutlich teilweise in nicht-zoro_astrischen altiranischen Vorstellungen zu suchen sind. Wir wissen, dass die Vorstellungen über das Böse als unabhängige Macht typisch zoroastrisch sind. Da man nun im Osten und in Westen des zoroastrischen Kerngebietes, in Indien und Kurdistan, Spuren eines anderen alten Mythos findet, liegt es auf der Hand anzunehmen, dass diese eine ursprünglichere Version des indo-ira_nischen Urmythos widerspiegeln und die zoroastrische Version eine spätere, zoroastrische Entwicklung darstellt.
Das bedeutet, dass die frühen Kurden womöglich an einen alten Schöpfungsmythos glaubten, in dem der göttliche Herr der Welt am Anfang ein Stieropfer dargebracht und dadurch unsere Welt im Gang gesetzt hat. Es ist wahrscheinlich, dass dieser Weltherr damals Mithra hieß. Im Laufe der Zeit kam dann die neue iranische Staatsreligion, der Zoroastriasmus (der lehrte, dass die Stiertötung ein Akt des schrecklichen Ahriman war) nach Kurdistan, und es ist anzunehmen, dass die beiden Versionen aufeinanderstießen.
Die Tatsache, dass der Pfau im Zoroastrismus manchmal als die einzige Schöpfung Ahrimans betrachtet wird, erklärt, wie die Begriffe “Weltherr”, “Ahriman” und “Pfau” im vorislamischen kurdischen Volksglauben miteinander verknüpft wurden, obwohl die Kurden nach wie vor an die göttliche Natur des Tausi-Melek glaubten.
Die Tatsache, dass die mystischen Glaubensvorstellungen, die von Sheikh Adi vertreten wurden, eine positive Rolle des Iblis nicht ausschlossen, kann womöglich dazu beigetragen haben, dass solche Vorstellungen sich auch in späterer Zeit behaupten konnten.
Die Beziehungen des Sufismus zum Yezidentum
Dr. Pir Mamou Otman
"Die Schöpfungsgeschichte und die Rolle des Bösen im Koran hatte mich inspiriert, ich wollte sie immer wieder lesen, insofern sie meiner Lage, meinen Zielen und Interessen entsprach."
Von alters her richteten sich die Blicke auf die orientalischen Länder und die Völker, die schon lange vor anderen die Strahlen der Sonne verehrten, der göttlichen Sonne, welche verbunden ist mit der höchsten Form an Reinheit und einer vollendeten Qualität. Auch die Länder, denen prophezeit war, daß sie in ihren Tempeln und durch die Arten ihrer Anbetung Geheimnisse bewahren werden, die zur Schöpfung der Religionen inspirierten.
Diese alten Religionen beruhten im Unterschied zu den himmlischen Religionen auf der direkten Beziehung zwischen Mensch und Gott.
Die alten Religionen bauten auf dieser direkten Verbindung zwischen der göttlichen Welt und der menschlich-natürlichen Welt auf. Sie beruhten demzufolge auf einer Brücke zwischen den Menschen und ihren Göttern. Die himmlischen Religionen wie das Judentum, das Christentum und der Islam, basierten auf dem Gegenteil. Sie haben die direkte Brücke zwischen Gott und Mensch aufgehoben mit Ausnahme der Brücke der Prophetenschaft und der Offenbarung. Demzufolge legen sie eine vollständige Trennung der göttlichen und der menschlichen Welt fest. Der Kerngedanke, auf welchem das islamische Dogma mit seiner Prophetenschaft und dem herabgesandten Koran basiert, ist der Tauhîd. Das Dogma des Tauhîd geht von der Ablehnung dieser direkten Verbindung, der Vielgötterei und dem darauf fußenden Polytheismus als Mittel der Verbindung zwischen Gott und Mensch aus. Unterstrichen wird diese These im Koran: "Gott ist einer und hat keinen neben sich". Er ist vollständig von der Welt der Menschen und allen Seiten getrennt. Die direkte Beziehung zwischen dem Menschen und seinen Göttern in den alten Religion (besonders ist hier die yezidische Religion zu erwähnen) führte bei dem einzelnen Yeziden zu Ratlosigkeit und Durcheinander, da eine große Verantwortung auf den Schultern dieser Person lastet. Er ist vor seinem Gott direkt für seine Taten verantwortlich. Als die himmlischen Religionen kamen, erkannten sie das Problem, an welchem die Menschheit litt, und zwar besonders aufgrund des Polytheismus und seiner Verantwortung gegenüber jedem einzelnen Gott und dem daraus resultierenden Wagemut, zu jedem Ereignis einen eigenen Beschluß zu fassen. Und so löste die Idee des einen Gottes (der Eine, der Allverzeihende, der Barmherzige) die alte Idee ab und hob so die große Verantwortung für den Menschen auf. Sie erleichterte das Gewicht auf seinen Schultern um eine Vielzahl von Pflichten und Verantwortungen. Die Anbetung Gottes gab es aber schon vor dem Islam, und die Polytheisten, d.h. diejenigen, die an die Göttlichkeit anderer Wesen glauben, verringerten den Grad der Vermittlung, die sie durch sie erreichten:
Sure Yûnus, Ayat 18: Sie verehren statt Allah das, was ihnen weder schaden noch nützen kann; und sie sagen: Das sind unsere Fürsprecher bei Gott.
Die Anhänger der yezidischen Religion können ihre Gegner nicht mit Waffengewalt bekämpfen, sondern sie bekämpfen sie mit der Kraft der Mythologie und der Beschäftigung mit den Ideen ihrer Väter und Vorväter, welche schon die gleichen Stufen durchliefen.
Der Grundgedanke, welcher der yezidischen Religion zugrundeliegt, ist die Idee von Ta´usi-Melek. Diese These ist schon seit der Existenz der |
![]() |